Tendenzen und Mißverständnisse. Peter Hacks und der Antisemitismus. Teil II

29. Juli 2010 § 2 Kommentare

Teil I.

II.

Fassen wir Rapoport wie folgt zusammen: Peter Hacks wurde als Antisemit bezeichnet. Dies sei eine Frechheit. Zwar habe er, Hacks, keine Theorie des Antisemitismus entwickelt, dies jedoch 1.) aufgrund der Geistlosigkeit des Themas, das ihn als Schriftsteller langweilte, und 2.) weil dieses Thema in der DDR ohnehin erledigt war. Letzteres ist auch die Meinung von Rapoport, der unverhohlen apologetisch wird, wenn er der DDR bescheinigt, in ihr sei „der Antisemitismus nie Bestandteil der offiziellen Staatsräson“ gewesen. Anfang der fünfziger Jahre lebten in der DDR etwa 5.000 Juden. 1989 waren es nur noch vierhundert. Wo waren sie abgeblieben, wenn doch für Juden in der DDR ein so angenehmes und unbehelligtes Leben möglich war? Der größte Teil, etwa dreieinhalbtausend Menschen, hatte sich bereits 1953 nach Westdeutschland abgesetzt. Wenn es irgendwo zu einem Exodus der Juden kommt, so sollte man meinen, daß an dem Ort, von dem sie aufbrachen, irgend etwas ganz und gar im Argen liegt und diejenigen, die da Haus und Hof zurücklassen, nicht einem kollektiven Irrtum aufsitzen.

Peter Hacks‘ Übersiedlung in die DDR im Jahr 1955 war in den Ostblockstaaten die massivste antisemitische Kampagne vorausgegangen, die es in Europa nach 1945 gegeben hatte. Seit 1948 wurden Juden in der Sowjetunion als „Konterrevolutionäre“ und „zionistische Agenten“ verfolgt. Stalin löste das Jüdische Antifaschistische Komitee (JAK) auf, ließ dessen Vorsitzenden, den Schauspieler Solomon Michoels, ermorden und 25 weitere Mitglieder als angebliche Agenten des Zionismus und US-Imperialismus vor Gericht stellen. Ihr Verbrechen bestand darin, daß sie die Staatsgründung Israels begrüßt hatten. Die Sowjetpropaganda hetzte gegen „wurzellose Kosmopoliten“, Juden in der Sowjetunion wurden systematisch, und zwar nur weil sie Juden waren, verfolgt, verhaftet, deportiert und hingerichtet. Im Ärzteprozeß Anfang der fünfziger Jahre warf man jüdischen Ärzten vor, eine Verschwörung gegen Stalin geplant zu haben. Im tschechischen Slansky-Prozess von 1952 lautete der Vorwurf gegen ehemalige Funktionäre der Kommunistischen Partei ebenfalls auf Zionismus, dreizehn von ihnen wurden hingerichtet, elf davon waren Juden.

Auch vor der DDR machte diese Kampagne nicht halt. Es gab Säuberungsaktionen und Entlassungen, von denen vor allem jüdische „Westemigranten“ betroffen waren. „Um der behaupteten „zionistischen Gefahr“ zu begegnen, verfügte die SED die Überprüfung der Kaderakten von allen Parteimitgliedern jüdischer Abstammung, zahlreiche jüdische Angestellte in den Stadt- und Bezirksverwaltungen wurden entlassen. Den jüdischen Gemeinden wurden kulturelle Veranstaltungen verboten, ihre Büros durchsucht, die Gemeindevorsitzenden verhört und Listen aller Gemeindemitglieder verlangt“, schreibt der Historiker Thomas Haury.

Diese antisemitische Kampagne endete mit dem und durch den Tod Josef Stalins, sie stand und fiel mit ihm, jenem Stalin, über den Hacks zeit seines Lebens kein böses Wort verlor, dessen Politik er billigte und zu dessen Politik eben auch die antisemitischen Verfolgungen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre zählten. Man wünschte sich von Hacks, dem Haltung so wichtig war, eine Haltung auch hierzu, statt bloßer Nichtzurkenntnisnahme. Die Nachwirkungen dieser Kampagne reichten trotz Stalins Tod noch bis in das Jahr 1955. Der Kommunist Paul Merker, kein Jude, wurde im März jenes Jahres zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Vorwurf lautete, Merker sei ein zionistischer Agent, weil er sich für Entschädigungszahlungen an während der Nazizeit enteignete Juden und für die Gründung des Staates Israel eingesetzt hatte. Von all dem sollte Peter Hacks nichts mitbekommen haben?

Diese Übersiedlung deutet Rapoport geradezu zu einem Akt des Antifaschismus, den linken Mythos fortschreibend, Staat und Bevölkerung der Bundesrepublik seien Mitte der fünfziger Jahre im wesentlichen Ausmaß „faschistischer“ gewesen als ihre DDR-Pendants. (Kontinuitäten gab es auf beiden Seiten.) Schreibt Rapoport zuerst ganz richtig, „Faschismus und Antisemitismus meinen ja, auch wenn das oft zusammenkleistert, nicht dasselbe“, so kleistert er die Begriffe dann doch wieder zusammen, wenn er, um Hacks vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz zu nehmen, dessen antifaschistisches Selbstverständnis ins Feld führt, das ja gar nicht in Frage steht. Was den Nationalsozialismus betrifft, war Hacks ohne Zweifel, anders als Günter Grass, mit sich im Reinen.

Es wird beinahe surreal, wenn Rapoport die DDR als Hort der Freiheit preist, in dem die Überzeugungen des Individuums Privatsache waren. Religionsfreiheit ist eben nicht ausschließlich negative Religionsfreiheit. Was, wenn Juden auf ihrer Partikularität als Juden beharren, wenn sie sich ihrem Judentum näher fühlen als der Allgemeinheit und diese Nähe der Unmittelbarkeit zum Staat vorziehen, die die kommunistische Ideologie von ihnen fordert? Der Antisemitismus nach 1945 speist sich nicht mehr so sehr aus dem Glauben an rassische Unterschiede, sondern gerade daraus, daß Juden darauf beharren, Juden zu sein und solchermaßen auch eine gewisse Distanz zu ihrer nichtjüdischen Umwelt zum Ausdruck bringen statt umstandslos in dieser aufzugehen. Solcherart jüdisches Selbstbewußtsein wollte auch die DDR nicht dulden, selbst wenn sie viele der antisemitischen Exzesse, die es in den übrigen Ostblockstaaten noch bis in die achtziger Jahre gab, innerhalb ihrer Grenzen abmilderte.

Schlicht historische Unwahrheiten verbreitet Rapoport, wo er auf das Verhältnis der DDR zu Israel zu sprechen kommt:

„Anders als der arabische Antizionismus hat er [der Antiimperialismus der DDR; I.W.] nie das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Das sozialistische Lager hatte lediglich nach dem Sechstagekrieg, nach welchem die USA damit begannen, das Halten zu Israel zu ihrer neuen Doktrin zu machen, die Seiten gewechselt. Bis zu dieser Zeit waren die Waffen der israelischen Armee in Sibirien hergestellt worden.“

In dieser Passage stimmt so gut wie nichts. Wohl hatte die Sowjetunion 1947/48 dem Teilungsplan der Vereinten Nationen für das ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina und damit der Gründung des Staates Israel zugestimmt. Auch hat sie Israel als erster Staat der Welt diplomatisch anerkannt. <Anmerkung: Hannes Stein hat mich nach der Veröffentlichung darauf aufmerksam gemacht, daß das nicht stimmt. Die USA waren die ersten, die Israel anerkannt haben. War ich einem alten linken Mythos aufgesessen? Wikipedia erklärt es so: „Der erste Staat, der Israel völkerrechtlich noch am 15. Mai 1948 de facto anerkannte, waren die USA (de jure erkannten die USA Israel erst am 25. Januar 1949 nach der ersten demokratischen Knesset-Wahl an). Drei Tage darauf folgte die Sowjetunion, die den israelischen Staat als erste auch sofort de jure anerkannte und zeitgleich die ersten diplomatischen Beziehungen aufnahm.“> Das geschah wahrscheinlich aus dem taktischen Interesse, dem britischen Imperialismus zu schaden, aber immerhin, sie hat es getan. Die Waffen für den Unabhängigkeitskrieg bekamen die Israelis aus der Tschechoslowakei geliefert. Noch heute erinnert eine Gedenktafel an der ältesten Prager Synagoge voller Dankbarkeit an diesen antifaschistischen Freundschaftsdienst. Doch sehr bald wandte sich die Sowjetunion schon wieder von Israel ab und seinen arabischen Feinden zu.

Die DDR stand bereits im Suezkrieg von 1956 auf der Seite der arabischen Staaten, ein Jahr zuvor, dem Jahr der Übersiedlung von Peter Hacks nach Ostberlin, hatte das Außenministerium der DDR in einem Kommunique festgehalten:

„Die Zionisten selbst verkauften sich jeweils an den, von dem der meiste Profit zu erwarten war. … Der Zionismus in der Gegenwart ist, wie der Slansky-Prozess in der CSSR zeigte, eine heimtückische und besonders raffiniert getarnte Agentur des USA-Spionagedienstes.“

Stalin war zwar tot, die schlimmsten Exzesse waren abgestellt, den Antisemitismus-Antizionismus hatte er offenbar trotzdem nicht mit ins Grab genommen.

Den DDR-Bürgern hat die SED die Schändlichkeit des Sechstagekrieges mittels massiver Propaganda regelrecht eingeprügelt, was den Schluß nahelegt, daß die Führung wesentlich antisemitischer war als der „Bodensatz“ der Bevölkerung. Die war anscheinend nicht von vornherein überzeugt, es bei der israelischen Armee mit einem Wiedergänger der Wehrmacht zu tun zu haben, weshalb Albert Norden in einem Schreiben an die Agitationsabteilung des ZK ebensolche Analogien in den DDR-Medien forderte. Simon Wiesenthal konnte 1968, in einer Analyse der Propaganda der DDR-Medien zum Sechstagekrieg, nachweisen, daß 39 ehemalige NSDAP-Mitglieder, die vordem in einflußreichen Stellen Nazipropaganda betrieben hatten, nunmehr auf nicht minder einflußreichen Stellen in den DDR-Medien saßen und maßgeblich für die antiisraelische Hetze verantwortlich waren. Im selben Jahr, 1968, ging es anläßlich des Prager Frühlings im gleichen Stil weiter: „In Prag regiert der Zionismus“, titelte das Neue Deutschland. 1973 lieferte die DDR während des Jom-Kippur-Krieges Waffen an Ägypten und Syrien, darunter eine Staffel Abfangjagdflugzeuge, Panzer, 62 Stück, Panzerminen, Granaten und kistenweise Munition. Angesichts der nicht nur nicht verhohlenen, sondern stolz ausgerufenen Absicht beider Staaten, die Israelis endgültig zu vernichten, fragt es sich, wie Rapoport zu dem Schluß kommen kann, die DDR habe „nie das Existenzrecht Israels in Frage gestellt“. Sie tat dies ideologisch, durch beispiellose Hetze, und praktisch, durch Waffenlieferungen an jene Staaten, die Israel mit Auslöschung drohten, sie tat es durch ihre Unterstützung der PLO, und sie förderte die Ermordung israelischer Juden ganz direkt, indem sie den palästinensischen Attentätern bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch ihre Sportler Hinweise auf den genauen Aufenthaltsort der israelischen Delegation gab. Mag sein, daß Peter Hacks all dies unter Außenpolitik abbuchte, die für ihn „an der Politik das Geistlose“ war.

Lesen Sie morgen im dritten Teil, wie Peter Hacks in den achtziger Jahren einen überaus schillernden argentinischen Viehhändler aufs Papier und auf die Bühne brachte.

Trottel und Künstler

26. August 2008 § 2 Kommentare

In der FAZ vom Samstag hat André Thiele einen schönen Beitrag über das Verhältnis von Peter Hacks und Thomas Mann geschrieben. Seine These: Hacks ist gar nicht so sehr marxistisch geprägt, wie man annehmen könnte, der Einfluß Brechts auf sein Werk war nur marginal, viel mehr lernte Hacks von „bürgerlichen“ Schriftstellern wie Thomas Mann oder Arno Schmidt. Hacks‘ politische und ästhetische Weltsicht war weit entfernt von systematischer Geschlossenheit.

Thiele weist in seinem Beitrag – wenn auch nur en passant – auf meinen bahnbrechenden Hacks-Essay aus dem Jahr 2005 hin (erschienen im MERKUR Nr. 671, März 2005), in dem ich ähnliche Thesen vertrat. Thiele:

Es gibt Kuriositäten wie die, dass beide [Mann wie Hacks] ihr schriftstellerisches Dasein mit einem anderen Ironiker antraten: Thomas Mann debütierte 1893 in der von ihm selbst herausgegebenen Schülerzeitung „Der Frühlingssturm“ mit dem Aufsatz „Heinrich Heine, der Gute“, Peter Hacks‘ erster gedruckter Text trug den Titel „Heinrich Heine“ und stand 1948 im „Obersdorfer Jugendecho“. Die Wohlinformierten wissen zu ergänzen, dass bei beiden die betonte Eindeutigkeit der weltanschaulichen Zuordnung nicht recht zuverlässig ist: dass es bei Mann, vor allem nach 1933, eine stete Inaugenscheinnahme der Möglichkeit Kommunismus gab, und bei Hacks inmitten des DDR-Sozialismus eine sehr deutliche „Ambivalenz des Bürgerlichen“ (Ingo Way).

Doch bei aller Ambivalenz und aller Unsystematik seines Denkens, eine Auffassung, für die ich immer noch eintrete – Hacks‘ nicht sehr sublime Zufriedenheit, sein tiefes Einverstandensein mit dem Kommunismus, der Sowjetunion, der DDR und, wie sich später (und nachweislich bereits vor dem Mauerfall) herausstellen sollte, auch Stalin, läßt sich beim besten Willen nicht von der Hand weisen. So daß für Hacks gilt, was dieser laut Thiele über Thomas Mann dachte, nämlich daß

man ein großer Künstler und gleichzeitig in politicis ein Trottel sein könne.

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Ergänzung: Zettel schreibt in seinem kleinen Zimmer – ein lustiger Zufall, der gerade paßt, Hacks würde sagen, eine List des Weltgeistes -:

Oder vielleicht sollte man es sich einfacher machen und sagen: Hacks und Harich, das waren Ultrakonservative. Leute wie der Naphta im „Zauberberg“ (er soll ja dem Kommunisten Georg Lukács nachgebildet sein) oder der Großinquisitor Dostojewskis. Sie trauen dem Individuum nichts zu, sie verachten die Menschen und sind deshalb für autoritäre oder totalitäre Systeme, Religionen, Ideologien.

Aber dann gibt es eben doch diesen stark individualistischen Zug bei Hacks. Vermutlich ist es so wie bei vielen Kommunisten: Man selbst ist ja bereits ein Individuum, dem Freiheit durchaus zusteht. Die anderen müssen freilich erst noch erzogen werden.

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