Der böse Levi und der gute Eppstein

25. Februar 2012 § Hinterlasse einen Kommentar

Der Abenteuerschriftsteller und sein kompliziertes Verhältnis zu den Juden. Mein Beitrag zum Karl-May-Jahr

»Empor ins Reich der Edelmenschen« war ein Vortrag betitelt, den Karl May acht Tage vor seinem Tod am 30. März 1912 im Wiener Sophiensaal hielt. Unter den Zuhörern, so will es jedenfalls die Anekdote, befanden sich die Pazifistin Bertha von Suttner sowie ein verkrachter 23-jähriger Postkartenmaler namens Adolf Hitler. Der war bekanntlich ein Fan des Erfinders von Winnetou und Hadschi Halef Omar, und der Karl-May-Verlag erlebte in den Jahren zwischen 1933 und 1945 seine kommerziell erfolgreichste Zeit. Hat sich Hitler etwa in seiner antisemitischen Weltsicht von dem Abenteuerschriftsteller inspirieren lassen? Klingt nicht »Edelmensch« fast wie der »arische Übermensch«, der sich anschickte, die Juden auszurotten und Europa in Schutt und Asche zu legen?
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»Lesebuchreif gedroschen«. Die unaufhaltsame Verkitschung von Paul Celans Gedicht »Todesfuge«

18. November 2010 § Hinterlasse einen Kommentar

Über den Mann und sein berühmtestes Gedicht etwas Schlechtes zu sagen, wirkt fast ungehörig. Man möchte sich nicht mit der Meute gemein machen, die Paul Celan auslachte, als der im Jahr 1952 bei einer Tagung der Gruppe 47 seine »Todesfuge« über das Grauen der Konzentrationslager vortrug. Die anwesenden Trümmerliteraten befanden, der rumänische Dichter, dessen Eltern im KZ ermordet worden waren, lese »wie Goebbels« (Walter Jens) beziehungsweise »wie in einer Synagoge« (Hans Werner Richter). Für die ehemaligen Flakhelfer und Wehrmachtssoldaten schien beides gleich schlimm zu sein. (Weiter lesen.)

Tendenzen und Mißverständnisse. Peter Hacks und der Antisemitismus. Teil III

30. Juli 2010 § 3 Kommentare

Teil I.

Teil II.

III.

Kommen wir auf meine zuvor angebotene Deutung zurück, Peter Hacks sei der Antisemitismus so zuwider gewesen, daß er sein Vorliegen auch dort abstreiten mußte, wo es kaum abzustreiten war, um nicht bekämpfen zu müssen, was er liebte: das Selbstverständnis seines Staates, der DDR. Eine gewaltige Verdrängungsleistung, gewiß, und wie bei solchen üblich, kehrt das Verdrängte oft in entstellter Form an die Oberfläche zurück. Die Schönheit und Heiterkeit der Hacks’schen Stücke täuscht leicht über so manche inhaltliche Häßlichkeit hinweg. Und hier sind wir bei der Figur des Aron Kisch aus den Binsen. Meine Bemerkung in ARGOS 4, diese Figur könne möglicherweise antisemitische Züge tragen, war wie gesagt der Anlaß zu Daniel Rapoports länglicher Ausführung, warum es sich nicht zieme, Peter Hacks in die Nähe des Antisemitismus zu bringen, wenngleich er letztlich einräumen muß, daß es bei Hacks „so Stellen“ gibt, die auch er, Rapoport, lieber nicht in der Welt sähe.

Mit meiner Bemerkung hatte ich meinerseits auf die folgende Charakterisierung des Aron Kisch bei Jens Mehrle (in ARGOS 3) reagiert: „Sein Land zu schädigen allerdings, wäre für ihn normal, genauer: er hat keines.“ Der Kapitalist, der sein Land schädigt, weil er keines hat, das ist nun freilich der „wurzellose Kosmopolit“ aus der Mottenkiste der Stalinschen Paranoia. Und ist eine solche Figur dann auch noch jüdisch konnotiert – ich bitte Sie, welche Schlüsse soll man denn ziehen?

Hacks zeigt in der Komödie „Die Binsen“ eine DDR im Niedergang. Justine, eine Mitarbeiterin im Handelskontor, gelingt der Coup, eine Schiffsladung Rinder an das rinderreiche Argentinien zu verkaufen und im Gegenzug Schuhe zu importieren, die derart minderwertig sind, daß sie sich selbst der argentinischen Unterschicht nicht andrehen lassen, in der DDR wegen ihrer ausländischen Herkunft jedoch begehrt sind. Diesen Deal bringt Justine dank ihrer Beziehung zu dem argentinischen Geschäftsmann Aron Kisch zuwege, der sich bereit findet, den entsprechenden Vertrag mit dem staatlichen Handelskontor abzuschließen.

Vorgestellt wird Aron Kisch von der Sekretärin Vierbein als ein „sagenhaft reicher Mann, ein Geldgott. Er hat einen von diesen bezeichnenden südamerikanischen Namen“. Wie Aron Kisch ganz offensichtlich einer ist … – Kurz darauf erfahren wir von Kischs zeitweiliger Geliebten Justine, daß sie nicht gezwungen war, sich in der Konversation mit ihm der spanischen Sprache zu befleißigen, denn „Herr Kisch spricht deutsch.“ Ein praktischer dramaturgischer Kniff, denn auf der Berliner Bühne muß Deutsch gesprochen werden, man kann ja schlecht Untertitel einblenden oder einen Dolmetscher in das Stück hineinschreiben, der überallhin mitläuft. Und doch muß es einen Grund für Kischs Sprachkenntnisse geben, denn das Deutsche steht auch bei den weltgewandtesten internationalen Unternehmern nicht unbedingt obenan. Bleibt die Abkunft von deutschen Vorfahren, die aus bestimmten Gründen das Land ihrer Geburt verlassen haben. Daß es sich um Nazis handelte, die sich über die Rattenlinie an sichere Gestade flüchteten, ist bei dem Namen Aron Kisch unwahrscheinlich. Nun.

Den buchstäblichen Kuhhandel zwischen der DDR und dem südamerikanischen Staat, aus dem er kommt, kann Kisch deswegen abwickeln, „weil er den argentinischen Präsidenten vertraulich kennt“ – das bedeutet, weil jener diesen gekauft hat, mit seinem Geld dessen Politik bestimmt.

Aron: Ich verkehre gelegentlich im Haus des Präsidenten, sagte ich das nicht?
Karl: Ihr Präsident, steht er nicht links?
Aron: Keine Ahnung. Ich habe mein Geld in ihm; ich habe versäumt, auf seine Überzeugungen zu achten.

Egal, welcher Partei der Präsident angehört, die Politik seines Landes bestimmt das Großkapital, und dieses ist jüdisch und hört auf den Namen Aron Kisch. In der Tat erwägt Kisch, worauf Mehrle hinweist, für einen kurzen Augenblick, Justine zuliebe in die DDR überzusiedeln, aber nur deshalb, weil er glaubt, auch das Politbüro kaufen zu können: „Weshalb nicht? Ich könnte mich mit eurem Präsidenten anfreunden“, so wie er auch schon mit dem Präsidenten seines Staates befreundet ist.

Der im übrigen kaum der argentinische sein dürfte. Argentinien war, als Hacks die „Binsen“ schrieb, eine Militärdiktatur und hatte mit Videla und Viola Präsidenten, die keine linken waren. So wie Preußen im Stück nicht das historische Preußen meint, sondern die DDR, so meint Argentinien nicht den gleichnamigen südamerikanischen Staat, sondern entweder den kapitalistischen Westen im allgemeinen oder die USA im besonderen, wofür spricht, daß diese zur Zeit der Entstehung des Stückes mit Jimmy Carter tatsächlich von einem linksstehenden Präsidenten regiert wurden. Ein jüdischer US-Kapitalist wäre auch Hacks zu platt gewesen, und Argentinien hat immerhin die größte jüdische Gemeinschaft Südamerikas, so daß ein Aron Kisch gut auch von dorther stammen könnte.

Warum beharre ich so sehr darauf, daß Aron Kisch Jude ist? Könnte er nicht zufällig so heißen und nur rein zufällig aus Deutschland stammende Vorfahren haben? Gewiß, doch dann sagt er, als Karl, sein Rivale um die Liebe Justines, im Wald zu kampieren gedenkt: „Man muß ihm hinterhergehen und sehen, wo er seine Laubhütte aufstellt.“ Und der Ausdruck „Laubhütte“ ist ausschließlich in Zusammenhang mit Sukkot, dem Laubhüttenfest der Juden, geläufig. Diese Laubhütten sollen an jene Zelte erinnern, die die Israeliten errichteten, als sie durch die Wüste wanderten, in Ermangelung eines Vaterlandes. Schauen Sie, je näher ich mir diese Figur des Aron Kisch ansehe, umso mehr verfestigt sich meine Überzeugung, daß es sich bei ihr um eine antisemitisch konnotierte Judendarstellung handelt. In einem früheren Aufsatz habe ich die sympathischen Züge erwähnt, die Hacks dieser Figur verleiht. Die muß er, Kisch, jedoch auch haben – als der Verführer, als der er dargestellt wird. Auch Veit Harlans „Jud Süß“ ist ein durchaus sympathischer und charmanter Verführer. Wer wäre nicht gern wie er? Er sieht gut aus, verfügt über Bildung und Geschmack, hat das Geld und die Frauen. Ehe manche Argos-Leser nun wieder die Wände hochgehen: Natürlich ist Hacks nicht Harlan; er ist von dessen Intentionen so weit entfernt, wie es nur geht. Aber nach Harlan eine Figur wie den Aron Kisch zu kreieren, das kann man eigentlich nicht machen. Hacks, scheint Rapoport nahezulegen, dachte, er könne, da er ja antifaschistisch imprägniert sei.

Hacks führt den Niedergang der DDR in den „Binsen“ nicht auf hausgemachte Gründe, sondern auf das Eindringen der kapitalistischen Warenwirtschaft zurück, auf das schleichende Unheil, das aus dem Ausland kommt, verkörpert in der Person des Verführers Aron Kisch. Das Versagen der DDR besteht für Hacks hauptsächlich darin, sich gegen die Verlockungen des Westens nicht genügend abgeschottet zu haben. Die sozialistischen Tugenden, verkörpert in Justine, drohen durch den Charme dieses Verführers korrumpiert zu werden, gleich wie die Justine de Sades. Anders als diese vermag es Hacks‘ Justine am Ende, der Verführung standzuhalten, sie entscheidet sich gegen ihre Neigung und, dem Vaterland zuliebe, für die Pflicht. So wie Justine wünschte sich Hacks im Jahr 1981 die DDR: Sie möge doch der Verführung widerstehen und sich vom Westen keinen Kram andrehen lassen, so wie sie sich im Stück von Kisch Rinder verkaufen läßt, die sie gar nicht braucht, da sie ja soeben selber welche exportiert hat.

Hacksens Größe, auch das muß gesagt werden, zeigt sich wiederum darin, daß er nicht der Versuchung erliegt, ja diese nicht einmal zu empfinden scheint, Kisch für den Schaden, den er dem sozialistischen Preußen zugefügt hat, Bestrafung widerfahren zu lassen (vom Verlust der Geliebten einmal abgesehen). Ihm ist gestattet, in Würde abzutreten und sich weiterhin seinen Geschäften zu widmen. Sogar ein gelegentliches Wiedersehen mit Justine wird in Aussicht gestellt. Hier siegt die Klugheit des Dramatikers, der alle Figuren zu ihrem Recht kommen läßt. Ein Feind bleibt Kisch dennoch, wenn es bei Hacks auch eine Gentleman-Feindschaft ist. Mal ehrlich: Werden Sie ganz schlau aus dieser Figur? Ich werde es nicht.

Tendenzen und Mißverständnisse. Peter Hacks und der Antisemitismus. Teil II

29. Juli 2010 § 2 Kommentare

Teil I.

II.

Fassen wir Rapoport wie folgt zusammen: Peter Hacks wurde als Antisemit bezeichnet. Dies sei eine Frechheit. Zwar habe er, Hacks, keine Theorie des Antisemitismus entwickelt, dies jedoch 1.) aufgrund der Geistlosigkeit des Themas, das ihn als Schriftsteller langweilte, und 2.) weil dieses Thema in der DDR ohnehin erledigt war. Letzteres ist auch die Meinung von Rapoport, der unverhohlen apologetisch wird, wenn er der DDR bescheinigt, in ihr sei „der Antisemitismus nie Bestandteil der offiziellen Staatsräson“ gewesen. Anfang der fünfziger Jahre lebten in der DDR etwa 5.000 Juden. 1989 waren es nur noch vierhundert. Wo waren sie abgeblieben, wenn doch für Juden in der DDR ein so angenehmes und unbehelligtes Leben möglich war? Der größte Teil, etwa dreieinhalbtausend Menschen, hatte sich bereits 1953 nach Westdeutschland abgesetzt. Wenn es irgendwo zu einem Exodus der Juden kommt, so sollte man meinen, daß an dem Ort, von dem sie aufbrachen, irgend etwas ganz und gar im Argen liegt und diejenigen, die da Haus und Hof zurücklassen, nicht einem kollektiven Irrtum aufsitzen.

Peter Hacks‘ Übersiedlung in die DDR im Jahr 1955 war in den Ostblockstaaten die massivste antisemitische Kampagne vorausgegangen, die es in Europa nach 1945 gegeben hatte. Seit 1948 wurden Juden in der Sowjetunion als „Konterrevolutionäre“ und „zionistische Agenten“ verfolgt. Stalin löste das Jüdische Antifaschistische Komitee (JAK) auf, ließ dessen Vorsitzenden, den Schauspieler Solomon Michoels, ermorden und 25 weitere Mitglieder als angebliche Agenten des Zionismus und US-Imperialismus vor Gericht stellen. Ihr Verbrechen bestand darin, daß sie die Staatsgründung Israels begrüßt hatten. Die Sowjetpropaganda hetzte gegen „wurzellose Kosmopoliten“, Juden in der Sowjetunion wurden systematisch, und zwar nur weil sie Juden waren, verfolgt, verhaftet, deportiert und hingerichtet. Im Ärzteprozeß Anfang der fünfziger Jahre warf man jüdischen Ärzten vor, eine Verschwörung gegen Stalin geplant zu haben. Im tschechischen Slansky-Prozess von 1952 lautete der Vorwurf gegen ehemalige Funktionäre der Kommunistischen Partei ebenfalls auf Zionismus, dreizehn von ihnen wurden hingerichtet, elf davon waren Juden.

Auch vor der DDR machte diese Kampagne nicht halt. Es gab Säuberungsaktionen und Entlassungen, von denen vor allem jüdische „Westemigranten“ betroffen waren. „Um der behaupteten „zionistischen Gefahr“ zu begegnen, verfügte die SED die Überprüfung der Kaderakten von allen Parteimitgliedern jüdischer Abstammung, zahlreiche jüdische Angestellte in den Stadt- und Bezirksverwaltungen wurden entlassen. Den jüdischen Gemeinden wurden kulturelle Veranstaltungen verboten, ihre Büros durchsucht, die Gemeindevorsitzenden verhört und Listen aller Gemeindemitglieder verlangt“, schreibt der Historiker Thomas Haury.

Diese antisemitische Kampagne endete mit dem und durch den Tod Josef Stalins, sie stand und fiel mit ihm, jenem Stalin, über den Hacks zeit seines Lebens kein böses Wort verlor, dessen Politik er billigte und zu dessen Politik eben auch die antisemitischen Verfolgungen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre zählten. Man wünschte sich von Hacks, dem Haltung so wichtig war, eine Haltung auch hierzu, statt bloßer Nichtzurkenntnisnahme. Die Nachwirkungen dieser Kampagne reichten trotz Stalins Tod noch bis in das Jahr 1955. Der Kommunist Paul Merker, kein Jude, wurde im März jenes Jahres zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Vorwurf lautete, Merker sei ein zionistischer Agent, weil er sich für Entschädigungszahlungen an während der Nazizeit enteignete Juden und für die Gründung des Staates Israel eingesetzt hatte. Von all dem sollte Peter Hacks nichts mitbekommen haben?

Diese Übersiedlung deutet Rapoport geradezu zu einem Akt des Antifaschismus, den linken Mythos fortschreibend, Staat und Bevölkerung der Bundesrepublik seien Mitte der fünfziger Jahre im wesentlichen Ausmaß „faschistischer“ gewesen als ihre DDR-Pendants. (Kontinuitäten gab es auf beiden Seiten.) Schreibt Rapoport zuerst ganz richtig, „Faschismus und Antisemitismus meinen ja, auch wenn das oft zusammenkleistert, nicht dasselbe“, so kleistert er die Begriffe dann doch wieder zusammen, wenn er, um Hacks vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz zu nehmen, dessen antifaschistisches Selbstverständnis ins Feld führt, das ja gar nicht in Frage steht. Was den Nationalsozialismus betrifft, war Hacks ohne Zweifel, anders als Günter Grass, mit sich im Reinen.

Es wird beinahe surreal, wenn Rapoport die DDR als Hort der Freiheit preist, in dem die Überzeugungen des Individuums Privatsache waren. Religionsfreiheit ist eben nicht ausschließlich negative Religionsfreiheit. Was, wenn Juden auf ihrer Partikularität als Juden beharren, wenn sie sich ihrem Judentum näher fühlen als der Allgemeinheit und diese Nähe der Unmittelbarkeit zum Staat vorziehen, die die kommunistische Ideologie von ihnen fordert? Der Antisemitismus nach 1945 speist sich nicht mehr so sehr aus dem Glauben an rassische Unterschiede, sondern gerade daraus, daß Juden darauf beharren, Juden zu sein und solchermaßen auch eine gewisse Distanz zu ihrer nichtjüdischen Umwelt zum Ausdruck bringen statt umstandslos in dieser aufzugehen. Solcherart jüdisches Selbstbewußtsein wollte auch die DDR nicht dulden, selbst wenn sie viele der antisemitischen Exzesse, die es in den übrigen Ostblockstaaten noch bis in die achtziger Jahre gab, innerhalb ihrer Grenzen abmilderte.

Schlicht historische Unwahrheiten verbreitet Rapoport, wo er auf das Verhältnis der DDR zu Israel zu sprechen kommt:

„Anders als der arabische Antizionismus hat er [der Antiimperialismus der DDR; I.W.] nie das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Das sozialistische Lager hatte lediglich nach dem Sechstagekrieg, nach welchem die USA damit begannen, das Halten zu Israel zu ihrer neuen Doktrin zu machen, die Seiten gewechselt. Bis zu dieser Zeit waren die Waffen der israelischen Armee in Sibirien hergestellt worden.“

In dieser Passage stimmt so gut wie nichts. Wohl hatte die Sowjetunion 1947/48 dem Teilungsplan der Vereinten Nationen für das ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina und damit der Gründung des Staates Israel zugestimmt. Auch hat sie Israel als erster Staat der Welt diplomatisch anerkannt. <Anmerkung: Hannes Stein hat mich nach der Veröffentlichung darauf aufmerksam gemacht, daß das nicht stimmt. Die USA waren die ersten, die Israel anerkannt haben. War ich einem alten linken Mythos aufgesessen? Wikipedia erklärt es so: „Der erste Staat, der Israel völkerrechtlich noch am 15. Mai 1948 de facto anerkannte, waren die USA (de jure erkannten die USA Israel erst am 25. Januar 1949 nach der ersten demokratischen Knesset-Wahl an). Drei Tage darauf folgte die Sowjetunion, die den israelischen Staat als erste auch sofort de jure anerkannte und zeitgleich die ersten diplomatischen Beziehungen aufnahm.“> Das geschah wahrscheinlich aus dem taktischen Interesse, dem britischen Imperialismus zu schaden, aber immerhin, sie hat es getan. Die Waffen für den Unabhängigkeitskrieg bekamen die Israelis aus der Tschechoslowakei geliefert. Noch heute erinnert eine Gedenktafel an der ältesten Prager Synagoge voller Dankbarkeit an diesen antifaschistischen Freundschaftsdienst. Doch sehr bald wandte sich die Sowjetunion schon wieder von Israel ab und seinen arabischen Feinden zu.

Die DDR stand bereits im Suezkrieg von 1956 auf der Seite der arabischen Staaten, ein Jahr zuvor, dem Jahr der Übersiedlung von Peter Hacks nach Ostberlin, hatte das Außenministerium der DDR in einem Kommunique festgehalten:

„Die Zionisten selbst verkauften sich jeweils an den, von dem der meiste Profit zu erwarten war. … Der Zionismus in der Gegenwart ist, wie der Slansky-Prozess in der CSSR zeigte, eine heimtückische und besonders raffiniert getarnte Agentur des USA-Spionagedienstes.“

Stalin war zwar tot, die schlimmsten Exzesse waren abgestellt, den Antisemitismus-Antizionismus hatte er offenbar trotzdem nicht mit ins Grab genommen.

Den DDR-Bürgern hat die SED die Schändlichkeit des Sechstagekrieges mittels massiver Propaganda regelrecht eingeprügelt, was den Schluß nahelegt, daß die Führung wesentlich antisemitischer war als der „Bodensatz“ der Bevölkerung. Die war anscheinend nicht von vornherein überzeugt, es bei der israelischen Armee mit einem Wiedergänger der Wehrmacht zu tun zu haben, weshalb Albert Norden in einem Schreiben an die Agitationsabteilung des ZK ebensolche Analogien in den DDR-Medien forderte. Simon Wiesenthal konnte 1968, in einer Analyse der Propaganda der DDR-Medien zum Sechstagekrieg, nachweisen, daß 39 ehemalige NSDAP-Mitglieder, die vordem in einflußreichen Stellen Nazipropaganda betrieben hatten, nunmehr auf nicht minder einflußreichen Stellen in den DDR-Medien saßen und maßgeblich für die antiisraelische Hetze verantwortlich waren. Im selben Jahr, 1968, ging es anläßlich des Prager Frühlings im gleichen Stil weiter: „In Prag regiert der Zionismus“, titelte das Neue Deutschland. 1973 lieferte die DDR während des Jom-Kippur-Krieges Waffen an Ägypten und Syrien, darunter eine Staffel Abfangjagdflugzeuge, Panzer, 62 Stück, Panzerminen, Granaten und kistenweise Munition. Angesichts der nicht nur nicht verhohlenen, sondern stolz ausgerufenen Absicht beider Staaten, die Israelis endgültig zu vernichten, fragt es sich, wie Rapoport zu dem Schluß kommen kann, die DDR habe „nie das Existenzrecht Israels in Frage gestellt“. Sie tat dies ideologisch, durch beispiellose Hetze, und praktisch, durch Waffenlieferungen an jene Staaten, die Israel mit Auslöschung drohten, sie tat es durch ihre Unterstützung der PLO, und sie förderte die Ermordung israelischer Juden ganz direkt, indem sie den palästinensischen Attentätern bei den Olympischen Spielen in München 1972 durch ihre Sportler Hinweise auf den genauen Aufenthaltsort der israelischen Delegation gab. Mag sein, daß Peter Hacks all dies unter Außenpolitik abbuchte, die für ihn „an der Politik das Geistlose“ war.

Lesen Sie morgen im dritten Teil, wie Peter Hacks in den achtziger Jahren einen überaus schillernden argentinischen Viehhändler aufs Papier und auf die Bühne brachte.

Asaf Schurr: Motti (Buchkritik)

28. Juni 2010 § Hinterlasse einen Kommentar

Zwei Freunde, eine Kneipentour, ein Autounfall. Eine Frau wird überfahren, stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Motti, jener der beiden Freunde, der nicht am Steuer saß, nimmt die Schuld auf sich und geht für seinen Freund Menachem, den Todesfahrer, für fünf Jahre ins Gefängnis. Seine einzige Bitte: Menachem möge sich um Mottis geliebte Hündin Leika kümmern.

Der 35-jährige Asaf Schurr erzählt in Motti, seinem zweiten Roman (dem ersten, der in deutscher Übersetzung vorliegt), die Geschichte einer ungleichen Freundschaft, in der sich die Machtverhältnisse auf einmal umkehren. Wie Menachem statt Dankbarkeit nach und nach Haß auf Motti entwickelt, weil er bei diesem in der Schuld steht, andererseits zu seiner Verantwortung nicht stehen will, um sein bürgerliches Leben nicht zu gefährden, und wie Mottis scheinbares Selbstopfer sich als Flucht vor sich selbst (und vor der heiklen Liebe zu der Nachbarstochter Ariella) erweist, das wird in klarer, schmuckloser Sprache und mit scheinbarer Naivität erzählt.

Asaf Schurr

Asaf Schurr auf der Leipziger Buchmesse 2010 (mit Shelly Kupferberg)

Es gehört zum Konstruktionsprinzip dieses Romans, daß der Erzähler solche Naivität immer wieder durchbricht, indem er selbst in Erscheinung tritt und darauf aufmerksam macht, daß alles nur ausgedacht ist. Das ist am Anfang durchaus erfrischend, etwa wenn der Erzähler offen zugibt, unwahrscheinliche Wendungen zu konstruieren, weil sie seinem Plot nützlich sind, oder wenn er die Vorgeschichte seiner Figuren selbst nicht genau zu kennen scheint: »Gut möglich, daß sie sich in der Armee kennengelernt haben. Zum Beispiel. Bei Israelis nichts ungewöhnliches. Möglicherweise schon vorher, in der Schule.« Das Bild des Autors als Gott einer in sich geschlossenen Welt erfährt dadurch Korrekturen. Das Stilmittel nutzt sich aber schnell ab und ist dann durchschaut als ein allzu aufdringliches Spiel mit inzwischen auch schon wieder altbackenen postmodernen Sprach- und Erzähltheorien.

Die Geschichte um Motti und seine Einsamkeit ist jedoch stark genug, um auch durch diese ironischen Brechungen hindurch noch zu berühren.

Asaf Schurr: Motti. Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch. Berlin Verlag, Berlin 2010, 224 S., 22 €

Liebe, Lust und Blasphemie: die neue „Jüdische Literatur“ ist da

18. März 2010 § Ein Kommentar

Heute erscheint pünktlich zur Leipziger Buchmesse die Literaturbeilage der Jüdischen Allgemeinen, die ich konzipiert und redigiert habe. Darin schreibt Marko Martin über Kati Marton, Hannes Stein über Meir Shalev, Sabine Pamperrien über Iris Hanika, Ingo Way über Philip Roth, Jörg Sundermeier über Benjamin Stein, Ayala Goldmann über Jacques Chessex, außerdem gibt es neue Bücher von Georg Kreisler, Asaf Schurr, Fritz Stern, Avi Primor, Shel Silverstein, Michel Bergmann, Josh Bazell, Yishai Sarid u.v.m. Eine Kostprobe findet sich hier, der Rest am Kiosk.

Wo bin ich?

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